Nach knapp zwei Wochen in Jokkmokk wird es Zeit, dass wir uns wieder auf die Räder schwingen. Unser nächstes kleines Etappenziel (300 km): Haparanda. Die Stadt liegt am Meer und direkt an der Grenze zu Finnland. Die Grenze ist seit März geschlossen - bis auf eine kurze 9-tägige Öffnung Mitte September. Für die Menschen in den beiden Grenzstädten Haparanda (SE) und Tornio (FI), die nur durch Torne äv (Fluss) getrennt, ansonsten aber zusammengewachsen sind, ist das ein schwerer Einschnitt in ihren Alltag. Wir haben die kurze Phase der Öffnung verpasst und können nicht nach Finnland einreisen. Schade.
Auf unserem Weg nach Haparanda zeigt sich uns Schweden noch einmal von einer etwas anderen Seite. Tagelang ist es bewölkt und eine dicke Nebelschicht lässt alles feucht und klamm werden. An ein, zwei Tagen mag die Sonne sich leicht durchkämpfen. Nur um zu zeigen, dass sie noch da ist - irgendwo da oben. Der Herbst schreitet voran. Die Birken verlieren ihre Blätter. So fahren wir statt durch goldgelbe Wälder nun über goldgelbe Blätterteppiche. Die Unerbittlichkeit der Natur ist allgegenwärtig. Es ist nicht mehr alles so lieblich und wunderbar herausgeputzt. Hier oben muss es praktisch und funktionstüchtig sein. Das raue Wetter und die Kälte verlangen Menschen und Gebäuden einiges ab.
Wir queren aussterbende Orte: verlassene Häuser, verlotterte Autos und Landmaschinen in den Einfahrten, leerstehende Cafés und Läden, stillgelegte Bahnhöfe, einsame Strassen. Die graue Wolkendecke setzt der Trostlosigkeit die Krone auf. Nur einige wenige Hartnäckige halten tapfer die Stellung. Gut für uns, denn in einem dieser Orte müssen wir unsere Wasservorräte auffüllen. Aus Mangel an Alternativen klopfen wir an einem bewohnt wirkenden Haus. Ein Mann um die 50 öffnet und führt uns breitwillig in die Küche. Seine Frau ist dabei die Schränke auszuräumen. Sie entschuldigen sich für das Chaos im Haus - sie sind gerade dabei wegzuziehen.
Die Menschen sind durchwegs freundlich, interessiert und hilfsbereit. Von der angeblichen nordischen Kühle und Reserviertheit spüren wir gar nichts. In Morjäv beispielsweise überlässt uns der freundliche Mann vom Folketshus (Volkshaus) gratis ein Häuschen, als wir auf dem dazugehörigen Campingplatz zelten wollen. Wir sind froh und dankbar, so können unsere klammen Sachen trocknen.
Das Wetter ist für uns eine neue Herausforderung. Mit Kälte und Nässe haben wir noch keine grosse Erfahrung. Diese sammeln wir jetzt. :) Neu starten wir den Fahrtag etwas später (ca. 9:00) und mit Frühstück und Tee/heisser Schoggi. Unsere geliebten langen Mittagspausen (mit Nickerchen :) ) fallen weg. Die Pausen werden kürzer und wir müssen uns jeweils wärmere, trockene Kleidung anziehen um überhaupt etwas verweilen zu können. Abends machen wir wann immer möglich ein Feuer. Wir verbringen viel Zeit im Zelt mit lesen, Routenplanung und Yazzy spielen. Manchmal kochen wir auch im Zelt. Bevor wir schlafen gehen, hüpfen wir nochmals draussen herum, damit wir warm ins Zelt kriechen können. Hie und da nehmen wir eine mit warmem Wasser gefüllte Flasche mit in den Schlafsack. Mit diesen Strategien geht es ganz gut. Die warmen, kuscheligen Daunenjacken, die wir uns gekauft haben, helfen auch. :)
Aber warum diese ganze Anreisung? Sooo kalt ist es ja noch gar nicht mit Tagestemperaturen von 6-10 Grad und Nächten um die 0 Grad. Das fragten wir uns anfangs oft. Wir waren etwas irritiert, dass wir ständig froren. Uns musste erst bewusst werden, was unsere Körper leisten müssen, wenn wir mehrere Tage am Stück ständig draussen sind. Ausser einem gelegentlichen Feuer, haben wir nichts, dass uns wirklich wärmt. Die Wärme in Zelt und Schlafsack muss von uns selbst "produziert" werden. Das braucht enorm Energie. Das wirkt sich auch auf unserer Tagesetappen aus: 50-60 km sind mehr als genug.
Ansonsten geniessen wir das unkomplizierte Radreisen: ruhige Strassen, schöne Campingspots und überraschende Begegnungen mit Rentieren im Wald.
Corona zwingt uns allerdings, Nordschweden früher zu verlassen, als geplant. Die Fallzahlen steigen europaweit. Dänemark kündigt Einreisesperren an, die Grenze zu Norwegen ist bereits teilweise geschlossen. Es zieht uns daher in den Süden Schwedens zurück, um schneller reagieren zu können. Eine Strecke von 1500 km liegen vor uns. Mit dem Velo ist das nicht in nützlicher Frist möglich. Auf ein Mietauto haben wir absolut keine Lust. Was bleibt ist Bus und Zug. Von früheren Recherchen wissen wir, dass sich die Velomitnahme auf Langstreckenfahrten in Schweden mühsam gestalten kann. Für uns ist das aber trotzdem die beste (einizge) Option - wird schon nicht so schlimm werden. :)
Unsere ÖV-Reise beginnt mit einer 7-stündigen Busfahrt nach Umeå. Der Bus hat eine Transportkabine, da die Busse hier oben oft auch als Post- und Warentransporter fungieren. Die Velos können vollbepackt bequem mit der Laderampe eingeladen werden. Von Umeå kommen wir mit dem Bus nicht mehr weiter. Wir versuchen es also mit dem Zug. Diese gelten als besonders velounfreundlich auf längeren Strecken. Glücklicherweise bestätigt sich dies nicht. Wir können völlig unkompliziert und praktisch nahtlos nach Sundsvall (265 km, 4 Stunden) weiterfahren. Solche Strecken werden hier also noch von Regionalzügen bedient. :) Als wir in Sundsvall aussteigen, steht auf dem gegenüberliegenden Gleis bereits ein Zug nach Stockholm (380 km, 5h ) bereit. Das muss wohl ein Zeichen sein. Eine Passantin macht uns sogleich darauf aufmerksam, dass Velos in diesem Zug nicht zugelassen sind. Wir lassen uns nicht entmutigen und suchen die Schaffnerin. Auch sie sagt Nein: nicht erlaubt, kein Platz. Wir bleiben hartnäckig, denn wir hätten bereits ein geeignetes Plätzchen für die Velos im Zug entdeckt. Sie lässt sich noch nicht erweichen. Die Tatsache, dass wir noch nicht einmal ein Ticket haben und der Zug in 2 Minuten abfährt, ist nicht gerade zu unseren Gunsten - oder vielleicht doch? Jedenfalls lässt sie uns plötzlich einsteigen. Die Tickets für uns können wir online im Zug lösen, die Velos werden sogar gratis transportiert. Geht doch! :) Um 22:30 kommen wir in Stockholm an - das war ein langer Tag. Jetzt gilt es nur noch schnell ein bezahlbares Hotelzimmer zu finden.
In Stockholm bleiben wir einen Tag. Am Morgen gehen wir guter Dinge an den Busbahnhof um die Weiterfahrt zu planen. Schnell wird uns klar, das wird mühsam. Es gibt etliche private Busunternehmen, deren Infoschalter meist nicht besetzt sind Eine allgemeine Information gibt es nicht. Wir müssen uns die Infos bezüglich Routen, Fahrzeiten und Velomitnahme also online zusammen suchen - mit mässigem Erfolg. Wir fangen bei den ankommenden Bussen die Chauffeure ab, nur um zu erfahren, dass allesamt keine Velos transportieren. Es bleibt also nur der Zug. Dieses Mal werden wir nicht darum herum kommen, die Velos ganz regelkonform auseinander zu nehmen und zu verpacken, damit sie mit in den Zug dürfen. Wir müssen also Klebeband, Klarsichtfolie und eine Menge Karton besorgen. Nebst dem ganzen Organisationsstress finden wir aber noch Zeit, kurz durch die Stadt zu schlendern und die Nationalbibliothek zu besuchen.
Am nächsten Morgen demontieren und verpacken wir die Velos direkt auf dem Bahnsteig und hoffen, dass es keine Gleisänderung gibt. :) Es klappt alles wunderbar und wir kommen am späten Nachmittag in Lund an. Wir flüchten aus der Stadt und stellen unser Zelt im Wald auf. Endlich wieder Ruhe.
Nach einem letzten Fahrtag in Schweden und einer wunderschönen Übernachtung im Shelter am Meer, nehmen wir in Helsingborg die Fähre nach Dänemark. Werden wir wohl reingelassen? Wir sind nicht ganz sicher. :) Wir fanden keine eindeutigen Informationen zu genau unserer Situation. (Überlandeinreise aus Skåne als FL-Staatsangehörige).
Schöne, intensive Wochen liegen hinter uns. Speziell Schwedens Norden hat es uns angetan - es war wohl nicht unser letzter Besuch hier.
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